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Mindesthaltbarkeitsdatum beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement

§ 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX begründet eine Pflicht des Arbeitgebers ein Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) anzubieten und durchzuführen, sobald innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit überschritten sind.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in einer Entscheidung mit der „Haltbarkeit“ eines BEM beschäftigt und im Rahmen dieser Entscheidung, sich auch zur Frage geäußert, wer ein BEM für beendet erklären kann.
Im vorliegenden Fall ging es um einen Beschäftigten, bei dem nach langer Erkrankung ein BEM durchgeführt und Anfang 2019 abgeschlossen wurde. Im Anschluss war er erneut an 79 Tagen innerhalb eines Jahres arbeitsunfähig erkrankt und der Arbeitgeber kündigte krankheitsbedingt.
Das BAG ist der Ansicht, es hätte ein zweites BEM durchgeführt werden müssen und erklärt die Kündigung für unwirksam.
In der Begründung führt das BAG aus, dass ein „Mindesthaltbarkeitsdatum“ eines BEM dem Sinn und Zweck der Vorschrift zuwiderlaufen würde. Erkrankt ein Beschäftigter nach Abschluss eines BEM erneut, ist grundsätzlich innerhalb eines Jahres ein erneutes BEM durchzuführen. Vorhergehende Erkrankungen, Arbeitsbedingungen und Maßnahmen sind möglicherweise nicht vergleichbar mit der Situation der erneuten Arbeitsunfähigkeit. Dies zu klären, ist nur in einem neuerlichen BEM möglich.
Wann ein BEM abgeschlossen ist und wer es beenden kann, dazu gibt das BAG die folgenden Hinweise:

Das Gesetz regelt das BEM nur rahmenmäßig als einen verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll, ohne explizit vorzusehen, wann dieser Suchprozess abgeschlossen ist. Ein BEM sei jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und Beschäftigter einig sind, dass der Suchprozess durchgeführt ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll. Abgeschlossen ist das BEM auch dann, wenn der Beschäftigte alleine seine Zustimmung zur weiteren Durchführung verweigert.
Der Arbeitgeber alleine kann den Suchprozess grundsätzlich nicht einseitig beenden. Gibt es aus seiner Sicht keine Ansätze mehr für zielführende Präventionsmaßnahmen, ist der Klärungsprozess erst dann als abgeschlossen zu betrachten, wenn auch vom Beschäftigten und den übrigen beteiligten Stellen keine ernsthaft weiterzuverfolgenden Ansätze für zielführende Präventionsmaßnahmen aufgezeigt wurden, ggf. ist ihnen hierzu Gelegenheit binnen bestimmter Frist zu geben. Entsprechend sei zu beurteilen, ob ein BEM bereits abgeschlossen ist, obwohl die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers weiter andauert. Auch dies hängt davon ab, ob die Beteiligten noch ernsthafte Ansätze zur Identifikation zielführender Präventionsmaßnahmen sehen oder nicht.
Diese BAG Entscheidung macht es möglicherweise notwendig, bestehende Betriebs- oder Dienstvereinbarungen im Punkt „Beendigung eines BEM“ zu überarbeiten. KomSem hat 2022 eine Reihe von Seminaren zum Thema BEM im Programm und macht auch gerne individuelle Inhouse-Angebote für ganze Gremien inklusive Überarbeitung von bestehenden Vereinbarungen.
BAG vom 18.11.2021 (Az. 2 AZR 138/21)

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