Schwerbehinderten nicht beschäftigt – Schadensersatz

Ein Arbeitnehmer war infolge einer Kniegelenkserkrankung mehr als ein Jahr arbeitsunfähig und anschließend schwerbehindert, so dass er seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben konnte. Der Arbeitgeber wies ihm daher eine andere Aufgabe zu, die aber immer noch nicht den ärztlichen Anforderungen entsprach. Nach nur 2 Monaten stürzte der Mitarbeiter am Arbeitsplatz und war erneut ein halbes Jahr arbeitsunfähig. Anschließend weigerte sich der Arbeitgeber, ihn weiter zu beschäftigen. Er sei den Anforderungen nicht mehr gewachsen und könne auch nicht anderweitig beschäftigt werden. Der Arbeitnehmer forderte deshalb Annahmeverzugslohn.

Die Entscheidung: Wenn ein Mitarbeiter nicht mehr im Stande ist, die an seinem Arbeitsplatz anfallenden Tätigkeiten auszuführen, befinden Sie sich grundsätzlich nicht in Annahmeverzug. Bei Schwerbehinderten sind Sie aber zur schwerbehindertengerechten Ausgestaltung des Arbeitsplatzes verpflichtet (§ 164 Abs. 4 SGB IX). Dazu können auch organisatorische Änderungen oder die Ausstattung mit technischen Hilfsmitteln von Ihnen verlangt werden. Kommen Sie diesen Pflichten nicht nach, müssen Sie dem Mitarbeiter den deshalb entgangenen Lohn als Schadensersatz zahlen. Die Details hierzu muss die Vorinstanz im vorliegenden Fall noch prüfen (BAG, 4.10.2005, 9 AZR 632/04).

Das bedeutet für Sie: Sie müssen alle für Sie zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um einen schwerbehinderten Mitarbeiter weiter beschäftigen zu können. Nur wenn es definitiv keine für Sie zumutbaren Möglichkeiten gibt, dürfen Sie ihn unbezahlt von der Arbeit freistellen oder kündigen (nach Betriebsratsanhörung und Zustimmung des Integrationsamtes).

Quelle: Newsletter Personal (Arbeitsrecht und Führung)


Pressemitteilung des BAG dazu:

Annahmeverzug und Schadensersatz bei Schwerbehinderung

Der Arbeitgeber hat Annahmeverzugslohn zu zahlen, wenn er die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung nicht annimmt (§§ 615, 293 ff. BGB). Das gilt auch dann, wenn den Arbeitgeber an der Nichtbeschäftigung kein Verschulden trifft. Kein Annahmeverzug wird begründet, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die an dem zugewiesenen Arbeitsplatz anfallenden Tätigkeiten auszuführen (§ 297 BGB). Kann der Arbeitnehmer davon nur einen Teil verrichten, gerät der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, es sei denn, dem Arbeitnehmer kann ein anderer Arbeitsplatz zugewiesen werden, den dieser ausfüllen kann (§ 106 GewO). Der Arbeitgeber ist regelmäßig nicht gehalten, dazu seine Arbeitsorganisation zu ändern oder den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers mit technischen Arbeitshilfen auszustatten.

Derartige Pflichten des Arbeitgebers ergeben sich aus dem Schwerbehindertenrecht. Der Arbeitgeber ist nach § 164 Abs. 4 Ziff. 1, 4 und 5 SGB IX zur behinderungsgerechten Ausgestaltung eines Arbeitsplatzes verpflichtet. Er macht sich schadensersatzpflichtig, wenn er diese Pflichten schuldhaft verletzt. Er schuldet dann die entgangene Vergütung als Schadensersatz nach § 280 BGB iVm. § 164 Abs. 4 SGB IX, es sei denn, die behinderungsgerechte Einrichtung des Arbeitsplatzes wäre ihm unzumutbar oder sie wäre mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden (§ 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX).

Der mit einem Grad von 50 behinderte Kläger ist seit 1997 bei der beklagten Stadt als Arbeiter angestellt. Auf Grund einer im Jahr 2000 eingesetzten Kniegelenksprothese war sein rechtes Bein nicht voll belastbar. Insbesondere durfte er nicht mehr als 15 kg heben und tragen. Auf den Arbeitsplätzen, auf denen er zuletzt eingesetzt war (Wertstoffhof; Containerstellplatzreinigung) waren zum Teil erheblich schwerere Gegenstände zu heben und zu tragen. Die Stadt lehnte seine Beschäftigung Mitte August 2001 auf Dauer ab, weil der Kläger wegen der Behinderung seine Arbeitspflicht nicht erfüllen könne. Der Kläger hat seine Vergütungsansprüche für die Zeit von Mitte August 2001 bis einschließlich April 2002 geltend gemacht.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen Ansprüche aus Annahmeverzug verneint. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Ansprüche auf Schadensersatz wegen entgangener Vergütung – jedenfalls für einen Teil des Anspruchszeitraums – bestehen. Deshalb hat der Senat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Oktober 2005 – 9 AZR 632/04 –

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 9. August 2004 – 8 (17) Sa 1416/02


Besprechung des Urteils durch Dr. Ulrich Faber