Die schwerbehinderte Klägerin ist seit November 1977 als Justizangestellte beim Amtsgericht H. beschäftigt. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) ist sie ordentlich unkündbar. Nach § 7 Abs. 2 BAT kann der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung durch einen Vertrauensarzt oder das Gesundheitsamt feststellen lassen, ob der Angestellte dienstfähig ist. Von Januar 1997 bis November 1999 hat die Klägerin nur an drei Tagen gearbeitet. Im übrigen war sie arbeitsunfähig krank bzw. nahm ihren tariflichen Jahresurlaub. Die Beschäftigungsdienststelle der Klägerin beauftragte im Herbst 1999 den Personalärztlichen Dienst (PäD) mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage der Dienstfähigkeit der Klägerin. Der Gutachtenauftrag wurde im April 2000 unerledigt zurückgegeben, nachdem sich die Klägerin trotz mehrfacher Anforderungen, zuletzt unter Androhung einer fristlosen Kündigung, endgültig geweigert hatte, die erforderlichen Befundberichte der behandelnden Ärzte vorzulegen. Nachdem die Hauptfürsorgestelle der Kündigung am 5. April 2000 zugestimmt hatte, kündigte die beklagte Stadt das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 7. April 2000 wegen beharrlicher Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 7 Abs. 2 BAT fristlos. Das Kündigungsschreiben wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 10. April 2000 zugestellt. Außerdem wurde es der Klägerin persönlich durch Postzustellungsurkunde übermittelt. Weil die Postzustellerin die Klägerin am 8. April 2000 nicht antraf, hinterlegte sie das Schriftstück bei dem zuständigen Postamt, wo es von der Klägerin am 20. April 2000 abgeholt wurde. Schon eine erste Kündigung der Beklagten vom 20. Januar 1999 war von der Beklagten nicht weiterverfolgt worden, nachdem sich die Klägerin darauf berufen hatte, das während ihrer Abwesenheit niedergelegte Einschreiben habe sie erst nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB bei der Post abgeholt. Mit ihrer Kündigungsschutzklage macht die Klägerin geltend, die Kündigung sei nicht unverzüglich im Sinne von § 21 Abs. 5 Schwerbehindertengesetz (ab 1. Juli 2001 § 91 Abs. 5 SGB IX) ausgesprochen worden. Bei Zugang des Benachrichtigungsscheins habe sie sich kurbedingt an der Ostsee aufgehalten. Gegen ihre Pflicht aus § 7 Abs. 2 BAT habe sie nicht verstoßen. Der PäD sei kein Vertrauensarzt im Sinne dieser Vorschrift. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der beklagten Stadt hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen.
Die Revision der Klägerin blieb erfolglos. Die beharrliche Verletzung der Pflicht, dem nach § 7 Abs. 2 BAT mit der Begutachtung betrauten Vertrauensarzt Vorbefunde zur Verfügung zu stellen, kann je nach den Umständen einen wichtigen verhaltensbedingten Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB bzw. § 54 BAT bilden. Eine größere Stadt kann auch, zumindest solange der betreffende Arbeitnehmer gegen die Person des Gutachters keine Einwendungen erhebt, einen eigens zur Erstellung dieser und vergleichbarer Gutachten eingerichteten Personalärztlichen Dienst als bestellten Vertrauensarzt mit der Begutachtung beauftragen.
Die Kündigung ist auch rechtzeitig erfolgt. Es kann offen bleiben, ob die Pflichtwidrigkeit der Klägerin nicht einen Dauertatbestand darstellt mit der Folge, dass bei Ausspruch der Kündigung die Frist des § 626 Abs. 2 BGB und damit die Frist des § 21 Abs. 5 SchwbG noch nicht begonnen hatte. Dem Landesarbeitsgericht ist jedenfalls darin zu folgen, dass sich die Klägerin nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die verspätete Aushändigung des Kündigungsschreibens berufen kann. Ein Arbeitnehmer, der aus dem Verfahren vor der Hauptfürsorgestelle (jetzt Integrationsamt) weiß, dass ihm eine fristlose Kündigung zugehen wird, kann sich je nach den Umständen nach Treu und Glauben auf den verspäteten Zugang nicht berufen, wenn er das Kündigungsschreiben nicht oder nicht zeitnah bei der Postdienststelle abgeholt hat, obwohl ihm ein Benachrichtigungsschein der Post zugegangen ist. Zu Lasten der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht zutreffend berücksichtigt, dass schon ein erster Kündigungsversuch der Beklagten per Einschreiben unter ähnlichen Umständen gescheitert ist und dass die Klägerin dem von ihr beauftragten Rechtsanwalt offensichtlich vor ihrer Abreise Klagevollmacht, nicht jedoch Empfangsvollmacht erteilt hatte und dann für längere Zeit abgereist ist, ohne irgendwelche Vorkehrungen für einen Posteingang zu treffen.
BAG, Urteil vom 7. November 2002 – 2 AZR 475/01 –
Vorinstanz: LAG Hamburg, Urteil vom 7. März 2001 – 8 Sa 114/00 –