Worüber darf der Doktor reden?
Es gibt jedoch Fälle, in denen der Betriebsarzt berechtigt oder sogar verpflichtet ist, Erkenntnisse über eine Gesundheitsbeeinträchtigung beim Arbeitnehmer an den Arbeitgeber oder an die Berufsgenossenschaft weiterzuleiten.
Freiwillige Untersuchung Bei einer allgemeinen und freiwilligen arbeitsmedizinischen Untersuchung, die über den Betriebsarzt vom Arbeitgeber angeboten wird und nicht gesetzlich oder durch Unfallverhütungsvorschriften vorgeschrieben ist, überwiegt das schutzwürdige Interesse des Arbeitnehmers an der Schweigepflicht des Betriebsarztes. Eine Offenbarung des Untersuchungsergebnisses würde die ausdrückliche Entbindung von der Schweigepflicht voraussetzen. Bei einer solchen Untersuchung darf der Betriebsarzt nur bei einer unmittelbaren Gefahr für Leben und Gesundheit anderer Personen den Arbeitgeber gegen den Willen des Untersuchten informieren. Problematisch ist die Schweigepflicht bei Krankheiten, deren Verschweigen gegenüber dem Arbeitgeber zur Selbst- und Fremdgefährdung führen kann. Beispiele dafür sind hirnorganische Anfallsleiden oder die Zuckerkrankheit, vor allem wenn diese insulinpflichtig ist. Bei einer plötzlichen Unterzuckerung wird der Kranke bewusstlos. Das könnte etwa bei Arbeiten mit Gefahrstoffen oder auf dem Gerüst eine Gefahr bedeuten. Grundsätzlich beschränkt sich die Offenbarungsberechtigung des Betriebsarztes nur auf die für den Arbeitgeber notwendigen Basisinformationen, wenn beispielsweise ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nur an einem bestimmten Arbeitsplatz beschäftigt werden darf oder eine Beschäftigung nur bei Einrichtung bestimmter Schutzvorrichtungen oder Sicherheitsmaßnahmen geduldet werden kann. Darüber hinausgehende Mitteilungen sind in der Regel rechtlich unzulässig und auch nicht durch die Annahme eines stillschweigenden Einverständnisses des Arbeitnehmers gedeckt.
Untersuchung aus besonderem Anlass Untersuchungen aus besonderem Anlass zur Beurteilung der weiteren Einsatzfähigkeit des Beschäftigten können in ganz unterschiedlichen Situationen notwendig oder sinnvoll sein: Häufige Ausfall- und Fehlzeiten, Wiederaufnahme der Arbeit nach längerer Krankheit oder Unfall, plötzlich auftretendes Anfallsleiden, verändertes Leistungsvermögen, Verdacht auf eine Suchterkrankung oder auch die akute Intoxikation mit Drogen oder Alkohol. Die ärztliche Schweigepflicht besitzt auch hier oberste Priorität. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Unternehmer etwa unwissentlich mit Angestellten arbeitet, die nur eingeschränkt einsatzfähig sind. Daher wird der Betriebsarzt jeden Einzelfall gewissenhaft prüfen und gegebenenfalls auch unter Beteiligung des Betriebsrates nach Lösungen suchen, die sowohl für den Beschäftigten als auch für den Unternehmer akzeptabel und sozialverträglich sind.
Gesetzlich vorgeschriebene arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung Bei einer speziellen arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung zur gesetzlich vorgeschriebenen Überwachung des Gesundheitszustandes der Betriebsangehörigen ist der Betriebsarzt verpflichtet, das Untersuchungsergebnis, nicht jedoch die Untersuchungsbefunde, dem Unternehmer mitzuteilen. Der Arbeitgeber erhält eine Bescheinigung über die Einsatzfähigkeit seines Mitarbeiters (ärztliche Bescheinigung) ohne die Ergebnisse arbeitsmedizinischer Untersuchungen (Diagnose etc.). Bestehen bei einem Mitarbeiter gesundheitliche Bedenken, erfolgt eine individuelle betriebsärztliche Beratung. Sollten arbeitsplatzbezogene Veränderungen notwendig werden, berät der Betriebsarzt diese mit Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam. Wenn der Beschäftigte der Weitergabe von Erkenntnissen aus der speziellen arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung ausdrücklich widerspricht, muss der Betriebsarzt dies berücksichtigen.
Einstellungsuntersuchung Bei einer Einstellungsuntersuchung, der sich ein Bewerber um einen Arbeitsplatz freiwillig unterzieht, werden die Ergebnisse aus dieser Untersuchung an den potenziellen Arbeitgeber weitergegeben. In diesem Falle wird von einem stillschweigenden Einverständnis des Bewerbers ausgegangen, da es der Zweck dieser ärztlichen Untersuchung ist, dem Arbeitgeber eine Entscheidungsgrundlage für den Einsatz des Bewerbers an einem individuell geeigneten Arbeitsplatz zu liefern.
Sicherheitshinweis Die beschriebenen Fallkonstellationen sollten grundsätzliche Aussagen in Bezug auf die ärztliche Schweigepflicht ermöglichen. Es sei aber daran erinnert, dass die juristische Beurteilung eines konkreten Einzelfalles durchaus zu einer abweichenden Einschätzung kommen kann.
Quelle: Impuls 4-2005
Betriebsarzt contra Hausarzt?
In § 3 (3) Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) heißt es: „Zu den Aufgaben der Betriebsärzte gehört es nicht, Krankmeldungen der Arbeitnehmer auf ihre Berechtigung zu überprüfen.“ Der Betriebsarzt hat ferner keine vertrauensärztliche Funktion. Sollte ein Arbeitgeber Zweifel an einer ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung haben, kann er den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) einschalten.
Auch in Rentenfragen hat der Betriebsarzt keine festgelegte Funktion. Hier wird in der Regel vom Rentenversicherungsträger ein Gutachten eingeholt. Der Gutachter sollte unabhängig sein.
Die eigentliche Aufgabe des Betriebsarztes ist es, der erste und fachkundige Ansprechpartner für alle medizinischen Fragen im Betrieb zu sein. Prinzipiell ist der Betriebsarzt in der Ausübung seiner Fachkunde weisungsfrei. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber keinen Einfluss auf eine fachliche Äußerung (z.B. ein Untersuchungsergebnis) nehmen kann und darf.
Im ASiG heißt es hierzu in § 8 (1): „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind bei der Anwendung ihrer arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Fachkunde weisungsfrei. Sie dürfen wegen der Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben nicht be nachteiligt werden. Betriebsärzte sind nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen und haben die Regeln der ärztlichen Schweigepflicht zu beachten.“
Es ist durchaus denkbar, dass sich Auffassungsunterschiede bei der medizinischen Beurteilung zwischen Hausarzt und Betriebsarzt ergeben. Diese können sich wie in jedem anderen Bereich allein durch die unterschiedliche Sichtweise des Problems, aber auch durch unterschiedliche Ausbildung und Informationsgrad ergeben.
Der Betriebsarzt kennt allerdings in der Regel das Arbeitsumfeld eines Beschäftigten deutlich besser, als dies der Hausarzt oder ein sonst behandelnder Arzt tut. Er sollte immer einen Konsens durch persönliches Gespräch mit dem Hausarzt suchen. Im Übrigen bekommen Hausärzte oft falsche Darstellungen der beruflichen Tätigkeit vom Beschäftigten hinsichtlich der körperlichen und seelischen Belastung und Beanspruchung oder kennen die Beurteilungskriterien in der Arbeitsmedizin nicht; Betriebsärzte haben oft falsche Vorstellungen von der Therapie einer Erkrankung. Der Dialog kann auch hier helfen, beide Ärzte auf den selben Sachstand zu bringen, um eine patientengerechte Beurteilung zu erlangen. Ein Dissens wird praktisch immer auf einem Kommunikationsproblem fußen. Ein ständiger „Schiedsrichter“ ist im Gesundheitswesen nicht vorgesehen und auch nicht nötig.