Aufhebungsvertrag – SBV – Anhörung

Der Schwerbehindertenvertreter hat auch dann gegenüber der Arbeitgeberin keinen Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses von Aufhebungsverträgen mit schwerbehinderten Menschen, wenn eine keine vorherige Unterrichtung erfolgt ist.

Die Arbeitgeberin betreibt städtische Krankenhäuser. Antragsteller ist der dort gewählte Schwerbehindertenvertreter. Die Arbeitgeberin schloss einen Aufhebungsvertrag mit einer schwerbehinderten Mitarbeiterin, ohne den Schwerbehindertenvertreter vorher unterrichtet und angehört zu haben.

Er meint, er sei beim Abschluss des Aufhebungsvertrags zu beteiligen. Das sah das BAG anders. Zwar hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören (§ 178 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX).

Der Abschluss selbst ist aber keine „Entscheidung“ i.S.v. § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX. Damit ist der Arbeitgeber weder stets verpflichtet, den Schwerbehindertenvertreter vor dem Abschluss zu unterrichten, noch muss sie diese zuvor anhören.

BAG, Beschluss vom 14.03.2012 Aktenzeichen: 7 ABR 67/10

Vorinstanz:
ArbG Stuttgart, Beschluss vom 29.09.2010, 22 BV 294/09
Hier sind besonders die beiden Leitsätze interessant.


Anmerkungen von Prof. Dr. Wolfhard Kohte und Ass. jur. Matthias Liebsch, zum BAG-Urteil:

Der geplante Aufhebungsvertrag eines Arbeitgebers mit schwerbehinderten Beschäftigten ist eine Angelegenheit, über die der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung (SBV) nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX unverzüglich zu unterrichten hat.
Die Unterrichtung muss vor Abschluss des Aufhebungsvertrags erfolgen. Dies gilt – entgegen der Meinung des 7. Senats des BAG – gerade auch bei „spontanen“ Aufhebungsverträgen. Solche können besonders gefährlich sein, weil die Betroffenen dann möglicherweise nicht rechtzeitig und unbeeinflusst Vor- und Nachteile abgewogen haben. Gerade in dieser Situation ist ein Beistand durch die SBV erforderlich.

Die zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit einem schwerbehinderten Beschäftigten führende Abgabe der Willenserklärung eines Arbeitgebers ist eine Entscheidung im Sinne von § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IX, so dass die SBV vor dieser Entscheidung anzuhören ist.

Bei der bevorstehenden Änderung des SGB IX ist vorzusehen, dass Aufhebungsverträge mit schwerbehinderten Beschäftigten ohne vorherige Beteiligung der SBV unwirksam sind.


Anderslautende Interpretation von den Arbeitnehmer-Anwälten, die folgender Meinung sind:

Der Arbeitgeber hat vor jedem Abschluss eines Aufhebungsvertrages unverzüglich die SBV zu unterrichten. Im Gegensatz zur Meinung des BAG hat er ferner die Pflicht, vor Abschluss eines Aufhebungsvertarges die SBV anzuhören.


Kritische Anmerkungen von Dr. Torsten von Roetteken, Vorsitzender Richter am VerwG Frankfurt – gelesen bei Juris

Die Entscheidung des BAG stellt eine der wenigen Entscheidungen der Bundesgerichte zu den Voraussetzungen und dem Umfang des Beteiligungsrechts der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX dar.
Insbesondere gilt dies für die Auslegung des Begriffs der Entscheidung, den das SGB IX anstelle des personalvertretungsrechtlichen Begriffs der Maßnahme (vgl. § 70 Abs. 1 BPersVG) verwendet.
Der Begriff der Entscheidung hat bisher als maßgebliches Kriterium für die Begrenzung des Anhörungsrechts vor allem im Verhältnis zu dienstlichen Beurteilungen eine Rolle gespielt.

Ungeachtet stellt sich schon auf den ersten Blick die Frage, wie ein Aufhebungsvertrag unter Beteiligung des Arbeitgebers zustande kommen soll, wenn dieser keine dahingehende Entscheidung über ein Angebot auf Abschluss oder die Annahme eines entsprechenden Angebots trifft. Der/die schwerbehinderte Beschäftigte kann einen Aufhebungsvertrag jedenfalls trotz aller Betonung seines/ihres privatautonomen Spielraums nicht allein durch seine/ihre Entscheidung zustande bringen.
Die vom Arbeitgeber insoweit abzugebende Willenserklärung setzt logischerweise voraus, dass er eine auf die Abgabe dieser Erklärung gerichtete Entscheidung trifft. Oder gibt der Arbeitgeber derartige Erklärungen ohne Erklärungsbewusstsein ab?

Die Entscheidung des Siebten Senats des BAG bedarf einer Korrektur, da sie in erheblichem Umfang die Befugnisse der SBV leerlaufen lässt. Der gesetzliche Schutzauftrag kann auf die vom BAG vorgesehene Weise jedenfalls nicht erreicht werden. Insoweit verstößt die Entscheidung auch gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, jede Benachteiligung von behinderten Menschen zu vermeiden.

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