Mehrarbeit von Schwerbehinderten Menschen

§ 207 SGB IX Mehrarbeit

Schwerbehinderte Menschen und ihnen (von der Agentur für Arbeit) Gleichgestellte sind auf Verlangen von Mehrarbeit freizustellen (Ausnahme Notarbeit i.S. von § 14 und 15 ArbZG, ArbG Hamburg Urteil vom 23. August 1990 – 15 Ca 40/90).
Neben Arbeitern und Angestellten können auch Beamte Freistellung von Mehrarbeit verlangen. Nach § 87 Abs. 3 BBG i. V. m. § 3 Abs. 1 S. 1 AZV beträgt die regelmäßige Arbeitszeit 41 Stunden wöchentlich (landesrechtliche Regelungen sehen zwischen 40 und 42 Stunden vor, vgl. die Zusammenstellung unter Wikipedia.
Sie darf für Bundesbeamte wöchentlich im Durchschnitt 44 Stunden nicht überschreiten (§ 87 Abs. 1 BBG).
Schwerbehinderte Beamtinnen und schwerbehinderte Beamte können nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AZV eine Verkürzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 Stunden beantragen. Diese Vorschrift gilt nur für Schwerbehinderte, nicht aber für gleichgestellte behinderte Menschen.

Der Anwendungsbereich ist auf zu leistende Mehrarbeit beschränkt. Die Vorschrift gibt den schwerbehinderten Arbeitnehmern nach allgemeiner Auffassung kein Recht, Sonn- oder Feiertagsarbeit bzw. Nachtarbeit und Bereitschaftsdienst generell abzulehnen.

Ordnet der Arbeitgeber Mehrarbeit an, hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer sie grundsätzlich zu leisten, sofern er nicht rechtzeitig eine Befreiung von der Mehrarbeit (gemäß § 207 SGB IX) verlangt hat. Der § 164 Abs. 4 SGB IX ist hierbei aber ggf. auch zu beachten und anzuwenden.

Voraussetzungen

Der Arbeitgeber kann Mehrarbeit anordnen, soweit dies arbeitsvertraglich, durch Betriebsvereinbarung oder aufgrund des Tarifvertrages zulässig ist.
Diese Anordnung bedarf aber trotzdem der Zustimmung
– des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG oder
– des Personalrates.
– die Schwerbehindertenvertretung ist nach § 178 SGB IX zu beteiligen.

Teilzeitbeschäftigt

Auch Teilzeitbeschäftigte sind grundsätzlich vor Mehrarbeit geschützt.
Teilzeitbeschäftigt ist ein Arbeitnehmer, dessen regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kürzer ist als die vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Betriebsangehöriger.

Wann Mehrarbeit bei einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer vorliegt, ist durch einen Vergleich mit der Arbeitszeit entsprechender vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Betrieb zu ermitteln; Mehrarbeit liegt nicht bereits in der Überschreitung der vereinbarten persönlichen Teilarbeitszeit (LAG Nürnberg Urteil vom 9. Januar 2007, Az:  7 Sa 79/06).
Auch das BAG hat hier vom Grundsatz des Achtstundentages abgeleitet und hieraus geschlossen, dass Mehrarbeit diejenige Arbeit sei, die über diesen Zeitraum hinausgehe (BAG Urteil vom 8. November 1989 – 5 AZR 642/88).

Allerdings haben schwerbehinderte Menschen nach § 164 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX einen einklagbaren Anspruch auf behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitszeit, soweit dessen Erfüllung für den Arbeitgeber nicht unzumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist (BAG, 03.12.2002 – 9 AZR 481/01).

Teilzeitbeschäftigt – behinderungsbedingt

Wenn nach § 164 Abs.5 Satz 3 SGB IX die Arbeitszeit verringert worden ist, dann braucht der AN keine Arbeit leisten, die über die verringerte Zeit hinaus geht.

Wann muss der sbM informieren?

Der schwerbehinderte Mensch muss sein Verlangen nach Freistellung von Mehrarbeit nicht begründen, aber ausdrücklich und möglichst frühzeitig erklären. Das Verlangen ist so rechtzeitig zu stellen, dass sich der Arbeitgeber darauf einstellen kann. Jedenfalls darf er der Arbeit nicht ohne Freistellungsverlangen einfach fernbleiben oder den Arbeitsplatz nach Ende der regelmäßigen arbeitstäglichen Arbeitszeit verlassen.

Allerdings muss auch der Arbeitgeber vorher die Schwerbehindertenvertretung rechtzeitig informieren (Anordnung von Mehrarbeit § 178 Abs. 2 SGB IX).

Streitigkeiten AN mit AG

Streitigkeiten zwischen schwerbehinderten Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber über die Zulässigkeit der Anordnung oder Ablehnung von Mehrarbeit sind vor dem Arbeitsgericht auszutragen; bei Beamten ist das Verwaltungsgericht anzurufen.

Streitigkeiten SBV/BR/PR mit AG

Besteht der Streit zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat bzw. dem Personalrat, so ist er im Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht oder dem Verwaltungsgericht auszutragen.
Das Gleiche gilt beim Rechtsstreit zwischen dem Arbeitgeber und der Schwerbehindertenvertretung.

Unterschied:
Mehrarbeit / Überstunden

Was ist Mehrarbeit?

Unter Mehrarbeit versteht man Arbeitszeit, die über die gesetzlich maximale regelmäßige Arbeitszeit von acht Stunden pro Tag (§ 3 ArbZG) hinausgeht. Mehrarbeit bezieht immer auf das Arbeitszeitrecht und hat keinen Bezug zur Vergütung

Bei Beamten wird von Mehrarbeit gesprochen, wenn sie die im Beamtenrecht festgelegte Regelarbeitszeit überschreiten.

Was sind Überstunden?

Der Begriff „Überstunden“ beschreibt die Arbeitszeit, die über die vertraglich vereinbarte oder tarifrechtliche regelmäßige Arbeitszeit hinausgeht und vom Vorgesetzten entweder angeordnet oder geduldet wird. Überstunden betreffen damit häufig tarifliche oder betriebliche Regelungen zur Vergütung von Arbeitszeit, die über die eigentlich vereinbarte Arbeitszeit hinausgeht.

Überstunden müssen also im Grundsatz nur dann geleistet werden, wenn sie zuvor vereinbart wurden.

Nicht vergessen:
Die Arbeitnehmervertretung hat Mitbestimmungsrecht bei der vorrübergehenden Verlängerung oder Verkürzung der Arbeitszeit, wenn darüber bestimmt werden muss, ob und in welchem Umfang kollektiv Mehrarbeit geleistet werden muss.

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Urteile:

Schwerbehinderte sind von Bereitschaftsdiensten, die Mehrarbeit bedeuten, freizustellen
BAG, 21. November 2006, Az.: 9 AZR 176/06

Freistellung schwerbehinderter Menschen von Mehrarbeit und Nachtarbeit

Ein Schwerbehinderter hat nach § 207 SGB IX keinen Anspruch auf Einhaltung der 5-Tage-Woche und Befreiung von Nachtarbeit. Das Verlangen auf Freistellung von Mehrarbeit führt weder zu einem Anspruch auf die 5-Tage- Woche noch auf Befreiung von Nachtarbeit. Etwas anderes kann sich allerdings im Einzelfall aus § 164 Abs. 4 Ziff. 4 SGB IX ergeben, wenn das zur behinderungsgerechten Gestaltung der Arbeitszeit erforderlich ist. Die Erfüllung darf für den Arbeitgeber aber nicht unzumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden sein.
BAG 03.12.2002 – 9 AZR 462/01

Auch Schwerbehinderte müssen nachts arbeiten

Schwerbehinderte müssen nicht grundsätzlich von Mehr- und Nachtarbeit freigestellt werden, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt (Az: 9 AZR 462/01). Im Einzelfall sei es zwar möglich, das der Arbeitgeber die Arbeitszeit behindertengerecht gestalten müsse. Dies dürfe für ihn aber nicht mit unzumutbaren oder unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden sein.

Eine Assistenzärztin aus Hessen hatte geklagt, die einen Behinderungsgrad von 50 hat. Die Klägerin ist seit über 20 Jahren in einem Krankenhaus als Anästhesie-Fachärztin beschäftigt. Seit einem Sturz im Operationssaal vor knapp sechs Jahren ist sie schwerbehindert. Zwar arbeitet die Frau seit Frühjahr 1999 wieder, Nachtarbeit lehnte sie jedoch ab. Sie wollte nur noch tagsüber an fünf Tagen in der Woche für acht Stunden arbeiten. Dies lehnte der Arbeitgeber nach Ansicht der Erfurter Richter zu Recht ab

BAG AZ 9 AZR 462/01 vom 3.12.2003