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Krankheitsbedingte Kündigung
- Auch bei negativer Gesundheitsprognose eines Beschäftigten kann eine krankheitsbedingte Kündigung unwirksam sein.
Krankheitsbedingte Kündigungen sind Kündigungen, die Arbeitgeber wegen erheblicher krankheitsbedingter Vertragsstörungen (Leistung und Gegenleistung aus dem Arbeitsvertrag) aussprechen. Sie sind die wichtigsten Unterfälle der ordentlichen Kündigung aus Gründen, die in der Person der Beschäftigten liegen.
Als krankheitsbedingte Kündigungen bezeichnet man daher alle von Arbeitgebern ausgesprochenen personenbedingten Kündigungen, mit denen Beschäftigten, die durch das Kündigungsschutzgesetz geschützt sind, trotzdem in rechtlich zulässiger Weise ordentlich gekündigt werden kann, falls die Beschäftigten aufgrund Krankheit ihren Arbeitsvertrag künftig nicht mehr erfüllen können.
Nach der Rechtsprechung müssen die folgenden drei Voraussetzungen vorliegen, damit krankheitsbedingte Kündigungen wirksam sind. Fehlt auch nur eine dieser Voraussetzungen, kann eine Kündigung unwirksam sein:Es müssen zum Zeitpunkt der Kündigung Tatsachen vorliegen, die die Prognose weiterer Erkrankungen der Beschäftigten in dem bisherigen Umfang rechtfertigen. Diese Voraussetzung heißt negative Zukunfts- oder Gesundheitsprognose.
Es muss feststehen, dass die zu erwartenden Fehlzeiten der Beschäftigten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen der Arbeitgeber führen. Eine solche Interessenbeeinträchtigung liegt vor allem dann vor, wenn es aufgrund der Fehlzeiten zu Störungen des Betriebsablaufs oder zu erheblichen Belastungen der Arbeitgeber mit Lohnfortzahlungskosten kommt.
Schließlich muss eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Sie muss zugunsten der Arbeitgeber ausgehen, d.h. sie muss ergeben, dass bei einer umfassenden Abwägung beiderseitiger Interessen unter Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses, der Krankheitsursachen, der Fehlzeiten vergleichbarer Beschäftigter und des jeweiligen Lebensalters die oben festgestellte Beeinträchtigung der Interessen nicht mehr weiter zugemutet werden kann.
In dem Fall, den das BAG entschieden hat, ging es um eine, einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Arbeitnehmerin, die von 2012 bis 2018 in unregelmäßigen Abständen arbeitsunfähig erkrankt war. Teilweise bestand für die Arbeitgeberin keine Entgeltfortzahlungspflicht. Die Arbeitgeberin gewährte der Arbeitnehmerin während der Erkrankung Zuschüsse zum Krankengeld, eine tarifliche Einmalzahlung, sowie den Bezug von Jubiläumsaktien. Zudem erhielt sie unter anderem Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld. Die Zahlungen beruhten auf einer Betriebsordnung bzw. auf Vereinbarungen mit dem Gesamtbetriebsrat. 2018 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis aufgrund der wirtschaftlichen Belastung durch die Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin.
Das BAG bestätigte die Unwirksamkeit der Kündigung. Obwohl bei der Arbeitnehmerin eine negative Gesundheitsprognose bestanden habe, sei die Kündigung unwirksam, da sich für die Arbeitgeberin keine erheblichen künftigen Beeinträchtigungen des Austauschverhältnisses ergeben. Für die Arbeitgeberin sei es daher zumutbar, über die Dauer der Kündigungsfrist hinaus an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten, denn die Zuschüsse zum Krankengeld, als freiwillige Leistungen, seien nicht zu Lasten der Arbeitnehmerin zu berücksichtigen. Die Zuwendung von Jubiläumsaktien erfolgte nach Vereinbarung allein wegen der Zurücklegung einer bestimmten Dienstzeit. Diese Gegenleistung habe die Arbeitgeberin ungeachtet der Krankheitszeiten der Arbeitnehmerin voll erhalten. Beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld sei davon auszugehen, dass hiermit allein der Bestand des Arbeitsverhältnisses und nicht auch eine Arbeitsleistung im Bezugszeitraum honoriert werden sollte, deshalb sei durch die Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin keine Störung im Austauschverhältnis eingetreten. Die Arbeitgeberin habe nach § 4a EFZG grundsätzlich das Risiko zu tragen, diese Leistungen ungeachtet der ganzjährigen Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin erbringen zu müssen.
BAG (22.07.2021) Az 2 AZR 125/21