Der Stellvertreter vertritt die Vertrauensperson (VP) im Falle der Verhinderung (§ 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).
Die VP ist verhindert, wenn es sich um Angelegenheiten handelt, die die eigene Person betreffen.
Verhinderung ist auch gegeben, wenn die VP zwar im Betrieb oder in der Dienststelle anwesend, aber für eine bestimmte Tätigkeit nicht erreichbar ist, z. B. weil sie eine andere Angelegenheit aus dem Aufgabenkatalog des § 178 SGB IX wahrnimmt.
Verhindert ist die VP auch dann wenn diese krank oder Urlaub hat. Ausnahme wäre, dass die VP sich explizit, trotz Urlaub, als nicht verhindert erklärt.
Dies hat die Rechtsprechung so zugelassen:
– LAG Berlin: Beschluss vom 01.03.2005 – 7 TaBV 2220/04
– BAG vom 08.09.2011, 2 AZR 388/10
Kategorie: Allgemein
(Wunsch)vorsorgeuntersuchung
Arbeitnehmer können eine Vorsorgeuntersuchung (Wunschvorsorge) verlangen, wenn sie das wollen. Doch was heißt das? Was muss untersucht werden?
Zu jeder Vorsorge gehört eine Arbeitsplatzanamnese. Der Arzt muss die Arbeitsplatzverhältnisse auf Gesundheitsgefahren untersuchen. Sonst bleibt der Arbeitgeber in der Pflicht – so das LAG Berlin-Brandenburg.
Gesundheitsvorsorge muss es in jedem Betrieb geben. Das regelt die arbeitsmedizinische Vorsorgeverordnung (ArbMedVV). Sinn dahinter ist es, die Beschäftigten über gesundheitliche Risiken bei der Arbeit aufzuklären und zu beraten. Es gibt drei Arten der Vorsorge: die Angebots-, die Pflicht- und die Wunschvorsorge. Bei der Wunschvorsorge geht die Initiative vom Beschäftigen aus. Er hat einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber ihm die Wunschvorsorge ermöglicht (§ 5a ArbMedVV), wenn er das will.
LAG Berlin-Brandenburg am 08.11.2018, Aktenzeichen 21 Ta 1443/18
Dienstfähigkeit und die SBV
Der Dienstherr muss die SBV umfassend unterrichten, bevor er einen schwerbehinderten Beamten wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt (§ 178 Abs. 2 SGB IX, § 26 BeamtStG).
Das gilt auch für neue Umstände.
Einmalige Einsicht in diePersonalakte genügt dafür nicht
Kündigung – Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
- Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen, die ein Arbeitgeber ohne Anhörung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, ist gem. § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX in der vom 30. Dezember 2016 bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (seit dem 1. Januar 2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) unwirksam.
- Der erforderliche Inhalt der Anhörung und die Dauer der Frist für eine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung richten sich nach den für die Anhörung des Betriebsrats geltenden Grundsätzen (§ 102 BetrVG).
- Die Kündigung ist nicht allein deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung entgegen § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF (seit dem 1. Januar 2018: § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) nicht unverzüglich über seine Kündigungsabsicht unterrichtet oder ihr das Festhalten an seinem Kündigungsentschluss nicht unverzüglich mitgeteilt hat.Die Beklagte beantragte im Dezember 2016 die behördliche Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Klägerin. Das Integrationsamt erteilte die Zustimmung mit Bescheid vom 20. Februar 2017. Mit Schreiben vom 7. bzw. 15. März 2017 hörte die Beklagte den Betriebsrat sowie die Schwerbehindertenvertretung zu ihrer Beendigungsabsicht an und kündigte am 24. März 2017 das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. September 2017.Die Vorinstanzen haben der dagegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Kündigung sei nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF unwirksam, weil die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem Integrationsamt und nach Anhörung des Betriebsrats beteiligt habe.
Der Senat konnte anhand der bisher getroffenen Feststellungen die Wirksamkeit der Kündigung nicht abschließend beurteilen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 378/18 –
Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Juni 2018 – 5 Sa 458/17 –
SBV-Beteiligung auch bei Kündigung in der Wartezeit
Ohne SBV geht nichts mehr!
Seit der gesetzlichen Neuregelung im Schwerbehindertenrecht ist die SBV bei jeder Kündigung eines schwerbehinderten Menschen zu beteiligen. Fehlt diese Beteiligung oder ist sie nicht ordnungsgemäß, ist die Kündigung unwirksam. Das ArbG Hamburg hat entschieden, dass die Schwerbehindertenvertretung auch zu unterrichten und anzuhören ist, wenn der Arbeitgeber in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses kündigt.
Wiedereingliederung – schwerbehinderter Arbeitnehmer – Schadensersatz
Wiedereingliederung – schwerbehinderter Arbeitnehmer – Schadensersatz wenn der Arbeitgeber „mauert“.
- Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer kann nach § 164 (alt:81) Abs. 4 S. 1 SGB IX a.F. eine anderweitige Tätigkeit auch im Rahmen einer Wiedereingliederung verlangen.
- Versäumt es der Arbeitgeber schuldhaft, die behinderungsgerechte Beschäftigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers nach § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 bis 5 SGB IX zu ermöglichen, hat der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch in Höhe der entgangenen Vergütung.
LArbG Berlin-Brandenburg, 23.05.2018, Aktenzeichen: 15 Sa 1700/17
Wann muss die SBV beteiligt werden?
Beteiligungsrechte im SGB IX § 178 (alt 95) Absatz 2
Rn 14:
„Angelegenheiten“ iSv. § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sind ua. personelle Einzelmaßnahmen wie Einstellungen, Versetzungen, Ein- oder Umgruppierungen, Abmahnungen und Kündigungen.
Erste Schritte nach der Wahl
1 Sich bekannt machen
- Bekanntmachung formulieren:
-
- Vorstellung der Schwerbehindertenvertretung (SBV) und der Stellvertretung (mit Bild)
- Für wen ist die SBV da?
- Für was ist sie zuständig?
- Wie ist sie zu erreichen? (Ort, Telefonnummer, E‐Mail, Sprechstunde)
- Bekanntmachung als Rundschreiben per E‐Mail versenden und am Schwarzen Brett aushängen
- Bei einem Betriebsrundgang sich persönlich vorstellen
- Auf der nächsten Betriebsversammlung sich persönlich vorstellen
- Beim Arbeitgeber nachfragen: Sind Integrationsamt und Arbeitsagentur über das Wahlergebnis informiert?
2 Kontakte aufnehmen
- zu den stellvertretenden SBV´n
- zum Betriebs‐ oder Personalrat oder MAV
- zum Inklusionsbeauftragten des Arbeitgebers
- zum Betriebsarzt und zur Fachkraft für Arbeitssicherheit
- zum Integrationsamt
- zur Agentur für Arbeit
- zu den schwerbehinderten Beschäftigten im Betrieb
3 „Büro“ der SBV einrichten
- Raum für Sprechstunde festlegen (evtl. mit Arbeitgeber klären)
- Abschließbaren Schrank für vertrauliche Unterlagen nutzen
- Fachliteratur besorgen
4 Die behinderten Mitarbeiter kennenlernen
- beim Arbeitgeber das aktuelle Verzeichnis der schwerbehinderten Menschen anfordern
- Arbeitsplatzkartei und Gefährdungsanalyse für die Arbeitsplätze besorgen
- Gesprächsangebote machen (z.B. durch Hinweis auf Sprechstunde der SBV)
5 Arbeiten organisieren
- Termin für SBV‐Sprechstunde festlegen
- Treffen des betrieblichen Integrationsteams vereinbaren
- An Betriebsrats‐ Personalratssitzung(en) teilnehmen
- an Ausschusssitzung(en) teilnehmen
- Regelmäßig Betriebsrundgang durchführen
- Arbeitgebergespräche (monatlich bzw. vierteljährlich) vereinbaren
- Schwerbehindertenversammlung planen
- Beiträge für die Mitarbeiter‐ oder BR/PR‐Zeitung vorsehen
- „Ruhige Stunde“ für die Schreibtischarbeit einplanen
6 Basiswissen aneignen
- Seminarprogramm organisieren und diverse Weiterbildungen besuchen
Schwerbehindert allein wegen psychischer Beeinträchtigungen?
Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen können dazu führen, dass die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
Aber welche Beeinträchtigung führt im Einzelfall dazu, dass allein deshalb ein Grad der Behinderung von mindestens 50 und damit die Eigenschaft als Schwerbehinderte*r festzustellen ist?
Diese Frage wurde beim Sozialgericht in Aachen (S 18 SB 1001/16) und anschließend vom DGB-Rechtsschutz erörtert:
SBV nicht angehört – Kündigung unwirksam
Genügt es, wenn die SBV nach Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung angehört wird?
Eine Mitarbeiterin, mit einem GdB von 40 und gleichgestellt, erhielt eine ordentliche Kündigung. Der Arbeitgeber hatte hierzu zuerst beim Integrationsamt die Zustimmung beantragt und erhalten.
Erst hörte er den Betriebsrat und danach erst die SBV an, die der Kündigung widersprach.
Die Beschäftigte erhob gegen diese Kündigung Klage und begründete dies mit der verspäteten Beteiligung der SBV. Sie bekam Recht.
Das Gericht begründet dies damit, dass eine Kündigung nicht nur dann unwirksam ist, wenn die SBV gar nicht zu dieser Maßnahme angehört, sondern auch dann, wenn sie verspätet beteiligt wird.
§ 178 Abs. 2 SGB IX sieht vor, dass die SBV unverzüglich vor der Entscheidung anzuhören ist.
Dies bedeutet, dass die SBV bereits dann zu beteiligen ist, wenn der Arbeitgeber seinen Kündigungswillen gebildet hat, damit sie die Willensbildung beeinflussen kann.
Da zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Integrationsamt sich die Kündigungsentscheidung beim Arbeitgeber jedoch schon verfestigt hat, ist eine Beteiligung der SBV erst nach Abschluss dieses Verfahrens verspätet, da die SBV nicht mehr einwirken kann.
Daher ist eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zu diesem späten Zeitpunkt nicht ordnungsgemäß, weshalb die Kündigung nach der neuen Regelung des § 178 Abs. 2 SGB IX unwirksam ist.
LAG Chemnitz – 08.06.2018 – 5 Sa 458/17