Benachteiligung bei interner Bewerbung im ÖD

Benachteiligung eines schwerbehinderten Bewerbers – Einladung zu einem Vorstellungsgespräch – interne Stellenausschreibung

Geht dem öffentlichen Arbeitgeber die Bewerbung einer fachlich nicht offensichtlich ungeeigneten schwerbehinderten oder dieser gleichgestellten Person zu, muss er diese nach § 82 Satz 2 SGB IX in der bis zum 29. Dezember 2016 geltenden Fassung (aF)* zu einem Vorstellungsgespräch einladen.

Das gilt auch bei einer (ausschließlich) internen Stellenausschreibung.

BAG, Urteil vom 25. Juni 2020 – 8 AZR 75/19 –
Vorinstanz: LAG Berlin-Brandenburg, vom 1. November 2018 – 21 Sa 1643/17 –

Interview – Corona – Seminar

Interview mit Hanka (SBV-4 in Berlin) und Martin (SBV-2 in Bernried)
Sie haben die ersten Seminare nach Corona durchgeführt.

Du kommst gerade von Deinem ersten Seminar nach „Corona“ zurück: Wie war´s?

Hanka: Es war wie immer toll. Auch wenn durch Corona vieles anders war. Mit Nasen-Mundschutz ist es gar nicht so leicht die Emotionen des Gegenübers zu erkennen. Auch ständig daran zu denken die „Maske“ überall zu tragen, wo man sich bewegt, war herausfordernd. Es hatte aber seinen Sinn – Gegenseitiger Schutz steht an erster Stelle.

Martin: Zu Beginn war Zurückhaltung zu spüren. Ich habe den Seminarteilnehmern angemerkt, dass sie bewusst ausloten, ob ihre Entscheidung richtig war, jetzt schon wieder an einem Seminar teilzunehmen.  Bereits im Verlauf des Montagnachmittags hat sich aber deutlich Entspannung breit gemacht. Ich habe die Erleichterung gespürt. Wir haben uns diszipliniert an das Hygienekonzept gehalten und die Durchführung des Seminars hat darunter zu keiner Zeit gelitten. Die Gruppe ist im Verlauf der Woche immer besser zusammengewachsen, die anfängliche Zurückhaltung wurde abgelegt und letztlich war mein Eindruck, alle waren froh über ihre Entscheidung, nach Bernried gekommen zu sein. 

Wie darf man sich das vorstellen – mit Maske und Abstand?

Hanka: Ist schon komisch, wenn alle um einen herum maskiert rumlaufen. Immer daran denken, 1,50 Meter Abstand halten und Maske tragen, war glaube ich die häufigste Aussage im Seminar. Wie oft man sich „näher“ kommt, merkt man erst, wenn darauf geachtet wird. Gerade bei Gruppenarbeiten war die Maskenpflicht angezeigt. Bei emotionalen Diskussionen flogen nicht nur die Worte durch die Luft. Da war die Abstandsregelung unabdingbar. Im Seminarraum war es durch den Mindestabstand während der Seminarzeit ganz gut möglich alles im Griff zu haben. Aber bei den Mahlzeiten, ging es schon manchmal an die Grenzen des Machbaren. Auch im Hotel waren überall Schilder angebracht, die Masken bei Bewegung zu tragen.

Martin: Das Tragen von Masken ist in den letzten Monaten bei den meisten zur Routine geworden, das habe ich deutlich gemerkt. Jeder hat wie selbstverständlich beim Verlassen des Seminarraums die Maske aufgesetzt. Im Seminarraum selbst hatten wir keine Masken auf, hier war es immer möglich den nötigen Abstand einzuhalten. Beim Essen saßen wir weiter auseinander als vielleicht von früher gewohnt, dafür durften am Tisch die Masken „fallen“. Apropos Masken, wir hatten sehr kreative Modelle in Bernried.

War Corona auch inhaltlich ein Thema?

Hanka: Oh ja. Am Ersten Tag ging es darum, wie die Schwerbehindertenvertretungen im Betrieb/Dienststelle eingebunden worden waren/sind. Es gab ganz unterschiedliche Aussagen. Schwerbehindertenvertretungen wurden teilweise vorbildlich  in „Task Force“ Arbeitsgruppen eingebunden, bei der Erarbeitung von Notplänen usw. berücksichtigt. Andere Schwerbehindertenvertretungen wurden gar nicht informiert.

Martin: Während der Seminarzeiten hat das Thema Corona keine Rolle gespielt, jeder hat sich voll auf die Themen des SBV 2 konzentriert. In den Pausen aber haben wir des Öfteren zum Beispiel über die Lockerungsmaßnahmen oder die neue Corona WarnApp gesprochen. Auch die persönlichen Erlebnisse jedes einzelnen während der Krise waren bewegend und interessant.

Was rätst Du den SBV´n, die wegen Corona vom Arbeitgeber gebremst werden, zum Seminar zu fahren?

Hanka: Es kommt auf den Grund an, warum Arbeitgeber möchten, dass die SBV nicht fahren soll. Sofern es darum geht eine Ansteckungsgefahr zu vermeiden, dann kann ich sagen, dass bei KomSem alle notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um eine Ansteckung zu verhindern. Also auf zu den KomSem Seminaren.

Martin: Nachdem mein Gesamteindruck der zurückliegenden Woche positiv ist, kann ich nur jeder SBV raten es selbst auszuprobieren. Seminare mit persönlicher Anwesenheit sind nach wie vor möglich. Jeder hat sich diszipliniert an die Hygienevorgaben gehalten, das Team im Hotel hat perfekt gearbeitet und die Räumlichkeiten in der Akademie haben es uns leicht gemacht die Abstände einzuhalten. Ich freue mich bereits auf meinen nächsten Einsatz.

Vorstellungsgespräch – Wer muß beweisen

Die Einladung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch muss der öffentliche Arbeitgeber weder förmlich zustellen noch den Zugang der Einladung nachweisen.

Leitsätze vom Gericht:

  1. Die Verletzung der in § 165 Satz 3 SGB IX geregelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Diese Pflichtverletzung ist nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an einer Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein.
  2. Von einem Desinteresse des öffentlichen Arbeitgebers an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen ist nicht auszugehen, wenn der Arbeitgeber eine Einladung ordnungsgemäß auf den Weg gebracht hat. Das Gesetz sieht keine bestimmte Form der Einladung vor. Insbesondere ist der öffentliche Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Einladung förmlich zuzustellen.
  3. Der schwerbehinderte Bewerber hat nach § 22 AGG die Indizien zu beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Das gilt auch für die Behauptung, nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein. Da es sich um den Beweis einer negativen Tatsache handelt, trifft den Prozessgegner in der Regel eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem Prozessgegner nähere Angaben dazu ohne weiteres möglich und zumutbar sind. Der Beweispflichtige genügt dann der ihm obliegenden Beweispflicht, wenn er die gegnerische Tatsachenbehauptung widerlegt oder ernsthaft in Frage stellt.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 07.01.2020, 5 Sa 95/19

Beschäftigungsanspruch

Ein öffentlicher Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine ausgeschriebene Stelle vorab einem schwerbehinderten Arbeitnehmer zuzuweisen, um dessen Anspruch auf Beschäftigung nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX zu gewährleisten.

In diesem Fall kann die Klägerin keine vertragsfremde Beschäftigung als Kulturagentin beim Land einfordern.
Zwar kann der Arbeitgeber leistungsgeminderten Arbeitnehmern im Rahmen seines Direktionsrechts eine andere Beschäftigung zuweisen.
Dies aber nur innerhalb des arbeitsvertraglichen Rahmens.

Eine Verpflichtung zu einer vertragsfremden Beschäftigung besteht nicht.

BAG, Urteil vom 3.12.2019, 9 AZR 78/19

Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch

  1. Die Verletzung der in § 165 Satz 3 SGB IX geregelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung.
  2. „Offensichtlich” fachlich nicht geeignet ist, wer unzweifelhaft nicht dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht. Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen es nicht, von einer Einladung abzusehen, weil sich Zweifel im Vorstellungsgespräch ausräumen lassen können. Der schwerbehinderte Mensch soll nach § 165 Satz 3 SGB IX die Chance haben, sich in einem Vorstellungsgespräch zu präsentieren und den öffentlichen Arbeitgeber von seiner Eignung zu überzeugen.
  3. Auf Rechtsmissbrauch kann nicht bereits daraus geschlossen werden, dass eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat oder führt.

    LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 07.01.2020, 5 Sa 128/19

100 Jahre Schwerbehindertenrecht

Im April 1920 trat das Gesetz zur Beschäftigung Schwerbeschädigter in Kraft. Damals musste Millionen von Kriegsversehrten der Weg in den Beruf geebnet werden. Seitdem wurde viel erreicht.

Bis zur gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen entsprechend der UN-Behindertenrechtskonvention ist es aber noch ein weiter Weg.

Die Entwicklung des Schwerbehindertenrechts im Überblick beim DGB

Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung

Diskriminierung – Schwerbehinderung – Vorstellungsgespräch – Beteiligung der SBV

Für eine Unterrichtung nach § 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber alle Bewerbungsunterlagen auch der Schwerbehindertenvertretung elektronisch zugänglich macht.

Es muss vielmehr unverzüglich ein Hinweis ergehen, ob und welcher der Bewerber schwerbehindert ist.

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.11.2019 – 15 Sa 949/19

Abfindungsanspruch – Benachteiligung wegen Behinderung

Regelt ein Sozialtarifvertrag (SozTV) den Umfang einer Nettoabsicherung nach dem Zeitraum bis zum frühestmöglichen Wechsel in die gesetzliche Rente, liegt darin eine mittelbare Benachteiligung Schwerbehinderter, da diese unter bestimmten Voraussetzungen schon mit 60 Jahren eine vorzeitige Rente beanspruchen können.

Weil ihre Nettoabsicherung deshalb niedriger ausfallen würde im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, verstößt dies gegen das AGG.

Ausschlaggebend für die Entscheidung ist, dass der SozTV bei der Höhe der Abfindung auf die Dauer zwischen dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus seinem Arbeitsverhältnis bis zum „frühestmöglichen Wechsel“ in die gesetzliche Rente abstellt.

Die Folge:
Schwerbehinderte wurden schlechter gestellt, weil sie nach § 236a SGB VI bereits mit 60 Jahren eine vorgezogene Altersrente in Anspruch nehmen können, während dies für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer frühestens mit Vollendung des 63. Lebensjahrs möglich ist.
Das BAG stellte die Unwirksamkeit einer solchen Regelung heraus.

BAG, Urteil vom 16.7.2019, 1 AZR 537/17

Wahlwerbung mit Dienstpost

Die Verwendung der Dienstpost zur Wahlwerbung durch einen Bewerber für die Stelle der Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung kann einen Verstoß gegen die Chancengleichheit darstellen.

Ob ein solcher zur Anfechtung berechtigender Verstoß vorliegt, hängt davon ab, ob der Bewerber sich oder seiner Liste dadurch einen Vorteil gegenüber den anderen Bewerbern verschafft hat.

Ein solcher Vorteil ist zumindest dann anzunehmen, wenn der Briefumschlag dem äußeren Anschein nach vom Arbeitgeber stammt und erst nach Öffnen des Briefes erkennbar wird, dass dieser tatsächlich vom Wahlbewerber und nicht offiziell vom Arbeitgeber stammt.

Anders als beispielsweise herumliegende Wahlflyer oder Wahlplakate, die ein Arbeitnehmer nicht selten nicht einmal zur Kenntnis nehmen wird, oder Handzetteln, denen sich der Arbeitnehmer durch passives Verhalten entziehen kann, provoziert der an die Privatanschrift adressierte und scheinbar vom Arbeitgeber stammende Brief ein aktives Verhalten, nämlich den Brief zumindest einmal zu öffnen und sich über den Inhalt in Kenntnis zu setzen.

ArbG Frankfurt, 07.08.2019, Az: 17 BV 675/18