Außerordentliche Kündigung eines unkündbaren Arbeitnehmers

  1. Wird einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer dauerhaft unmöglich, seine bisherige Tätigkeit (infolge Arbeitsunfähigkeit) auszuüben, so kann das regelmäßig allenfalls eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist rechtfertigen.
    (Rn.38) a) Dabei können auch vom Arbeitnehmer nicht zu vertretende Umstände in seiner Person geeignet sein, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein wichtiger Grund kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer auf Grund von Umständen, die in seiner Sphäre liegen, zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Arbeitsleistung auf unabsehbare Dauer nicht mehr in der Lage ist. Darin liegt regelmäßig eine schwere und dauerhafte Störung des vertraglichen Austauschverhältnisses, der der Arbeitgeber, wenn keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, mit einer außerordentlichen Kündigung begegnen kann. Liegt eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit vor, kann dies den Arbeitgeber bei tariflichem Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit des Arbeitnehmers jedenfalls zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigung entsprechenden Auslauffrist berechtigen (BAG 26.11.2009 – 2 AZR 272/08 – Rn. 24, BAGE 132, 299).
  2. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung setzt dabei ferner voraus, dass im gesamten Zuständigkeitsbereich des Vertragsarbeitgebers zum Kündigungszeitpunkt und in absehbarer Zeit keine Möglichkeiten zur anderweitigen Beschäftigung bestehen.
    (Rn.51) So ist der Arbeitgeber auch bei dauernder Unmöglichkeit, den ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer in seinem bisherigen Tätigkeitsbereich zu beschäftigen, erst dann zur Kündigung berechtigt, wenn das aus der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers resultierende Hindernis nicht nur seiner Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz, sondern auch einer Beschäftigung an anderer Stelle entgegensteht (so schon Senat 30. Mai 1978 – 2 AZR 630/76). Dies gilt bei allen Arten von Kündigungsgründen (Senat 6. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04 – Rn. 33).

LAG Rheinland-Pfalz v. 11.7.2017, 8 Sa 23/17

Gleichstellung auch für BR-Mitglied möglich

Beschäftigte mit einem GdB von 30 oder 40 können die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen beantragen.
Die Mitgliedschaft im Betriebsrat und der besondere Kündigungsschutz stehen dem nicht im Wege.

Bei einem Arbeitnehmer, der zugleich Betriebsratsmitglied ist, wurde eine GdB von 30 festgestellt. Er hatte als Produktionshelfer Einschränkungen im Wirbelsäulenbereich. Er beantragte die Gleichstellung, weil er seinen Arbeitsplatz behalten wollte und diesen als gefährdet sah.
Die BA lehnte die Gleichstellung ab, weil er als Mitglied des Betriebsrates schon über besonderen Kündigungsschutz verfügt.

Es gab zwar behinderungsbedingte Fehlzeiten und Leistungseinschränkungen sowie eine Kündigungsandrohung, diese sah die BA aber nicht als relevant an und lehnte ab.
Der Betroffene klagte und gewann. Die Betriebsratstätigkeit und der damit einhergehende arbeitsrechtliche Kündigungsschutz führen nicht zu einer Ablehnung der Schwerbehinderung.

SG Berlin Urteil vom 12.02.2018, Aktenzeichen S 57 AL 1161/16

Integrationsamt muss auch bei teilweiser Erwerbsminderung zustimmen

Erfordernis einer Zustimmung des Integrationsamtes zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen aufgrund auflösender Bedingung bei teilweiser Erwerbsminderung

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung aufgrund des Eintritts einer teilweisen Erwerbsminderung erfordert bei einem schwerbehinderten oder ihm gleichgestellten Menschen nach § 92 (Neu: 175)  S. 1 SGB IX die vorherige Zustimmung des Integrationsamts.

Voraussetzung ist, dass beim Zugang der schriftlichen Unterrichtung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber über den Eintritt der auflösenden Bedingung die Anerkennung der Schwerbehinderung oder die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen erfolgt ist oder die entsprechende Antragstellung mindestens drei Wochen zurückliegt.

BAG, Urteil vom 16.1.2018 – 7 AZR 622/15

Anspruch auf Wiedereingliederungsmaßnahme (Hamburger Modell)

Wiedereingliederungsmaßnahmen werden in der Praxis oft stiefmütterlich behandelt. Zu Unrecht, wie diese Entscheidung zeigt.
Das LAG Hessen hat im Fall einer unberechtigten Ablehnung eines Wiedereingliederungsantrags eines schwerbehinderten Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber entschieden, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des erlittenen Verdienstausfalls hat.

Leitsätze:

  1. Durch die Ablehnung eines Antrags auf Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme (Hamburger Modell) durch den Arbeitgeber kann sich dieser gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer schadensersatzpflichtig machen.
  2. Dabei ist der beim Arbeitnehmer eintretende Schaden unter Berücksichtigung der Zwecksetzung des § 84 SGB IX zu ermitteln.
  3. Allein die Tatsache, dass § 84 SGB IX selbst keine Rechtsfolgenbestimmung umfasst, rechtfertigt nicht die Annahme einer rechtlichen Unverbindlichkeit und Folgenlosigkeit eines Gesetzesverstoßes.
  4. Deswegen ist die Ermittlung des Schadens bei einer unberechtigten Ablehnung der Wiedereingliederungsmaßnahme auf der Grundlage der Zwecksetzung des § 84 SGB IX vorzunehmen.
  5. Der Arbeitnehmer hat daher Anspruch auf die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert seines Vermögens ohne Eintritt der Ablehnung der Wiedereinsetzungsmaßnahme und dem tatsächlichen Wert seines Vermögens. Dies umfasst das Arbeitsentgelt, das der schwerbehinderte Arbeitnehmer bei einer zeitlich früheren Herstellung seiner Arbeitsfähigkeit verdient hätte.

LAG Hessen – 07.08.2017 – 7 Sa 232/17

Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer bei Versammlungen

Da gemäß § 178 (6) SGB IX die für Betriebs- und Personalversammlungen geltenden Vorschriften anzuwenden sind, gilt folgendes Urteil auch für die SB-Versammlung:

Die Teilnahme an einer Betriebsversammlung ist keine Arbeitsleistung. Der Arbeitnehmer erbringt mit seiner Teilnahme keine vertraglich geschuldete Tätigkeit. Er macht lediglich von einer ihm betriebsverfassungsrechtlich eingeräumten Befugnis Gebrauch (BAG v. 14.11.2006 – 1 ABR 5/06). Aus diesem Grunde unterliegt die Zeit der Teilnahme an der Betriebsversammlung nicht den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes über die Höchstarbeitszeiten, die Ruhepausen und Ruhezeiten (§ 3 bis 5 ArbZG). Dennoch ist die Zeit der Teilnahme an einer Betriebsversammlung einschließlich zusätzlicher Wegezeiten „wie Arbeitszeit“ zu vergüten (§ 44 Abs. 1 Satz 2 BetrVG), ohne selbst Arbeitszeit zu sein. Die Arbeitnehmer dürfen durch ihre Teilnahme an der Betriebsversammlung keine finanziellen Einbußen erleiden. Diese Regelung gilt nicht im Bereich des öffentlichen Dienstes.

Der Vergütungsanspruch ist ausschließlich davon abhängig, ob der Arbeitnehmer an der Betriebsversammlung teilnimmt. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung unterliegt daher nicht dem Lohnausfallprinzip, sondern entsteht unabhängig davon, ob ohne die Teilnahme ein Lohnanspruch bestanden hätte oder nicht (BAG v. 31.5.1989 – 7 AZR 574/88). Diese Regelungen gelten nicht für außerordentliche Betriebsversammlungen, die auf Veranlassung des Betriebsrats oder von mindestens einem Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer einberufen wird (§ 43 Abs. 3 BetrVG). Arbeitnehmer, die an der Betriebsversammlung teilnehmen, erhalten daher ihr übliches Entgelt einschließlich der Zulagen. Das heißt in der Praxis:

    • Das Arbeitsentgelt eines Arbeitnehmers, der während seiner persönlichen Arbeitszeit an einer der o. a. Betriebsversammlungen teilnimmt, wird für die Zeit der Teilnahme fortgezahlt, als hätte er an seinem Arbeitsplatz Arbeit verrichtet.
    • Ein Arbeitnehmer, der außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit an einer der o. a. Betriebsversammlungen teilnimmt (z.B. Teilzeitbeschäftigter, Schichtarbeiter usw.) erwirbt für die Zeit der Teilnahme einschließlich der zusätzlichen Wegezeiten einen Vergütungsanspruch (nicht Freizeitausgleichsanspruch).

Das gilt für Arbeitnehmer, die während ihres Urlaubs an einer Betriebsversammlung teilnehmen, ebenso wie für arbeitsunfähig krank geschriebene Mitarbeiter, die auch während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit ein Teilnahmerecht haben. Die Vergütung ist zusätzlich zum gezahlten Urlaubsentgelt bzw. zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu zahlen. Das gilt unabhängig davon, ob die Betriebsversammlung außerhalb oder innerhalb ihrer üblichen persönlichen Arbeitszeit stattfindet (BAG v. 5.5.1987 – 1 AZR 665/85). Auch Arbeitnehmer in ruhenden Arbeitsverhältnissen (Personen in Elternzeit, Wehr- und Zivildienstleistende) erwerben bei Teilnahme an der Betriebsversammlung einen Anspruch auf Vergütung Arbeitnehmer, die nicht an der Betriebsversammlung teilnehmen und sich währenddessen an ihrem Arbeitsplatz befinden, haben auch dann Lohnanspruch, wenn sie in dieser Zeit keine Arbeit zu verrichten haben. Arbeitnehmer, die außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit an einer Betriebsversammlung teilnehmen, haben Anspruch auf Vergütung der zusätzlichen Wegezeiten und Fahrtkostenersatz (§ 44 Abs. 1 Satz 2 u. 3 BetrVG). Zusätzliche Wegezeit ist die Zeit, die ein Arbeitnehmer über die Wegezeit hinaus aufwenden muss, die er benötigt, um seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringen zu können (BAG v. 5.5.1987 – 1 AZR 666/85). Das trifft zu für Teilzeitbeschäftigte, Schichtarbeiter usw., wenn sie an der Betriebsversammlung teilnehmen, die außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit stattfindet, und sie sich nicht am Ort der Betriebsversammlung befinden.

Sabine zu den SBV-Tagen

„Vielen Dank für die Möglichkeit, sich mit vielen SBV´n auszutauschen. Man lernt immer wieder neue interessante Menschen, deren Erfahrungen und Meinungen kennen und geht gestärkt in seinen beruflichen Alltag zurück.
Hoffentlich gibt es KomSem und diese Seminare in einer derart entspannenden Atmosphäre wie dem Bernrieder Hof noch sehr sehr lange.“

Fehlende Bestellung eines Schwerbehindertenbeauftragten ist Indiz für eine Diskriminierung

Stellenanzeige – Altersdiskriminierung – Diskriminierung wegen einer Behinderung – Fehlender Inklusionsbeauftragter

  1. Die in der Stellenanzeige enthaltene Suche nach einer „Verstärkung unseres jungen Teams“ mit einer Person, welche gerade das Studium erfolgreich abgeschlossen hat und nach einem Einstieg sucht, indiziert eine unmittelbare Altersdiskriminierung.(Rn.65) (Rn.68)
  2. Dasselbe gilt für die Suche nach einer „Verstärkung unseres jungen Teams“ mit einem „frisch gebackenen Juristen“ .(Rn.71)
  3. Der in einem Lebenslauf an dessen Ende unter der Überschrift „Besondere persönliche Merkmale“ allein enthaltene Vermerk „zu 80 % schwerbehindert“ ist ein ausreichender Hinweis auf eine bestehende Schwerbehinderung. (Rn.85)
  4. Die Verletzung der Förderpflicht nach § 164 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX(Rn.89), die fehlende Bestellung eines Schwerbehindertenbeauftragten nach § 181 SGB IX(Rn.90) sowie die Nichterfüllung der Mindestbeschäftigungsquote nach § 154 Abs. 1 SGB IX indizieren eine Diskriminierung  wegen Behinderung.(Rn.91)
  5. Zu den Voraussetzungen für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs bei der Geltendmachung einer Entschädigung nach § 15 AGG (hier: verneint).(Rn.94)

LAG Hamm, Urteil vom 13.06.2017, Az: 14 Sa 1427/16

Krankheitsbedingte Kündigung – ordnungsgemäße Einladung zum BEM

LAG Hamburg 7. Kammer, Urteil vom 08.06.2017, 7 Sa 20/17

Änderungskündigung – korrekte Beteiligung der SBV

Änderungskündingung ohne korrekte Beteiligung unwirksam

Die unterbliebene Anhörung der SBV führt zur Unwirksamkeit der Kündigung eines sbM, wenn dieser die Kündigung angreift.
Die Begründung ergibt sich aus dem SGB IX § 178 Absatz 2!
Versäumt der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Änderungskündigung und vor dem Antrag an das Integrationsamt auf Zustimmung die SBV zu beteiligen, hat sich eine fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage als unwirksam zu erweisen.
Die Unwirksamkeit der Änderungskündigung ergebe sich daraus, dass die Unterrichtung und Anhörung der SBV bereits abgeschlossen sein muss, bevor der Antrag beim zuständigen Integrationsamt gestellt wird.
Wenn jedoch der Antrag auf Zustimmung schon gestellt wurde, müsse davon ausgegangen werden, das der Arbeitgeber seine Willensbildung bereits abgeschlossen und seinen Willen nach außen erkennbar manifestiert habe.
Wenn aber die Willensbildung bereits als abgeschlossen zu bewerten ist, wovon im vorliegenden Fall auszugehen ist, ist eine Beteiligung der SBV an der Willensbildung schlechthin nicht vorstellbar.

ArbG Hagen, Urteil vom 06.03.2018, Az.: 5 Ca 1902/17

Versetzung setzt kein BEM voraus

Wirksame Versetzung setzt kein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) voraus

Sind Beschäftigte über 6 Wochen im Jahr arbeitsunfähig, muss der Arbeitgeber mit den Betroffenen klären, welche Leistungen oder Hilfen möglich sind, um erneute Arbeitsunfähigkeit zu verhindern und den Arbeitsplatz zu erhalten. Diese Klärung nennt man Betriebliches Eingliederungsmanagement.
Allein das Unterlassen eines BEM führt nicht dazu, dass eine krankheitsbedingte Kündigung unwirksam ist.
Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAG) setzt auch eine krankheitsbedingte Versetzung kein vorheriges BEM voraus.