Anspruch auf Wiedereingliederungsmaßnahme (Hamburger Modell)

Wiedereingliederungsmaßnahmen werden in der Praxis oft stiefmütterlich behandelt. Zu Unrecht, wie diese Entscheidung zeigt.
Das LAG Hessen hat im Fall einer unberechtigten Ablehnung eines Wiedereingliederungsantrags eines schwerbehinderten Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber entschieden, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des erlittenen Verdienstausfalls hat.

Leitsätze:

  1. Durch die Ablehnung eines Antrags auf Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme (Hamburger Modell) durch den Arbeitgeber kann sich dieser gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer schadensersatzpflichtig machen.
  2. Dabei ist der beim Arbeitnehmer eintretende Schaden unter Berücksichtigung der Zwecksetzung des § 84 SGB IX zu ermitteln.
  3. Allein die Tatsache, dass § 84 SGB IX selbst keine Rechtsfolgenbestimmung umfasst, rechtfertigt nicht die Annahme einer rechtlichen Unverbindlichkeit und Folgenlosigkeit eines Gesetzesverstoßes.
  4. Deswegen ist die Ermittlung des Schadens bei einer unberechtigten Ablehnung der Wiedereingliederungsmaßnahme auf der Grundlage der Zwecksetzung des § 84 SGB IX vorzunehmen.
  5. Der Arbeitnehmer hat daher Anspruch auf die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert seines Vermögens ohne Eintritt der Ablehnung der Wiedereinsetzungsmaßnahme und dem tatsächlichen Wert seines Vermögens. Dies umfasst das Arbeitsentgelt, das der schwerbehinderte Arbeitnehmer bei einer zeitlich früheren Herstellung seiner Arbeitsfähigkeit verdient hätte.

LAG Hessen – 07.08.2017 – 7 Sa 232/17

Versetzung setzt kein BEM voraus

Wirksame Versetzung setzt kein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) voraus

Sind Beschäftigte über 6 Wochen im Jahr arbeitsunfähig, muss der Arbeitgeber mit den Betroffenen klären, welche Leistungen oder Hilfen möglich sind, um erneute Arbeitsunfähigkeit zu verhindern und den Arbeitsplatz zu erhalten. Diese Klärung nennt man Betriebliches Eingliederungsmanagement.
Allein das Unterlassen eines BEM führt nicht dazu, dass eine krankheitsbedingte Kündigung unwirksam ist.
Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAG) setzt auch eine krankheitsbedingte Versetzung kein vorheriges BEM voraus.

Übernahme von Fahrtkosten während einer stufenweisen Wiedereingliederung

Die Klägerin beantragte bei ihrer Rentenversicherung die Übernahme von Fahrtkosten während einer Maßnahme zur stufenweisen Wiedereingliederung.
Die Rentenversicherung lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass es sich  nicht um eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation gehandelt habe, sondern während der Maßnahme Übergangsgeld als unterhaltssichernde Leistung gezahlt worden sei.
Für die Erstattung weiterer Kosten gebe es keine gesetzliche Grundlage.
Das Sozialgericht war anderer Meinung und verpflichtete die Rentenversicherung zur Kostenübernahme.

SozG Neuruppin, Urteil vom 26.01.207, Az: S 22 R 127/14
Dazu ein Fachbeitrag von Prof. Dr. Nebe mit Anm. A19-2018

SG Berlin, Urteil vom 29.11.2018 – S 4 R 1970/18

Weitere Urteile zur Fahrtkostenerstattung:

Die Krankenkasse muss Fahrtkosten erstatten, die anfallen, wenn ein Arbeitnehmer für eine stufenweise Wiedereingliederungsmaßnahme zum Arbeitsort fährt, aber parallel Krankengeld erhält.
SG Dresden, 17.06.2020, Az: S 18 KR 967/19

Sozialgericht Düsseldorf, 12.09.2016, S 9 KR 632/15
Gesetzliche Krankenkasse

Sozialgericht Kiel, 04.11.2016, S 3 KR 201/15
Gesetzliche Ersatzkasse